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Sybille

Er wartete nun schon eine halbe Stunde, aber von ihr war nichts zu sehen. Die große Turmuhr ge­genüber vom Marktplatz schlug genau vier mal. Die Rosen, die er in der Hand trug welkten schon und es hatte den Anschein, dass nichts aus seinem Rendezvous wurde.

Sybille war die wunderschönste Frau die er sich vorstellen konnte und nun saß er hier auf der Parkbank mit den welken Blumen und fast der Gewissheit, dass er sie heute nicht sehen sollte. Aus was für Gründen auch immer. Ja, dachte er sich, sie wird schon wissen warum sie nicht kommen konnte. Vielleicht war es ein anderer? Nein, er war sich sicher, dass sie nur ihn liebte. Aber warum in Gottes Namen kam sie nicht?

Wutentbrannt schleuderte er die Rosen in den Abfalleimer. Eine alte Dame, die eine Bank weiter saß und die Vögel mit altem Brot versorgte starrte ihn aus ungläubigen Augen an. Er sah der alten Dame ins Gesicht und ihm war, als ob er Sybille sah, denn vor seinen Augen veränderte sich das Gesicht der alten Dame und es nahm Züge an, die dem Gesicht von Sybille ähnelten. Er rieb sich die Augen und als er sie wieder öffnete war nichts mehr. Die alte Dame war verschwunden.

Er drehte sich und blickte in die Gesichter der umstehenden Menschen. Alle hatten die Gesichtszüge von Sybille. Alle trugen die Kleidung von ihr. Es war, als wollte sein Kopf zerspringen. Es drehte sich alles vor seinen Augen. Alles war so verschwommen. Es war ihm, als ob er schweben und abheben würde.

Ja, er konnte fliegen. Er flog und flog!

Über Häuser, Dörfer, Städte, Länder, Meere und dann war da diese Insel auf die er zuflog. Sie zog ihn magisch an.
Der Strand mit den klaren blauen Wasser. Die Palmen, die sich im Rhythmus des Windes bewegten.

Dann kommt jemand aus dem Urwald gelaufen. Völlig nackt kam Sybille auf ihm zu und wollte ihm in seine Arme laufen. Der graziöse Körper lief ihm entgegen. Aber da - sie war nicht allein und in ihr war Angst.
Angst vor denen, die sie verfolgte.

Es waren Männer, die es auf sie absahen. Von überall hörte er die Stimmen.
Er muß sie schützen dachte er, aber man hielt ihn fest und ließ ihn zusehen, wie man Sybille einholte und sie dann verletzte.

Die Messer drangen überall in den Körper ein. Der so herrlich weiße Strand war nun mit Blut über­strömt. Blut, dass das Wasser erreichte, was zu wallen begann.

Sie sah ihn mit riesigen Augen an - das letzte mal, denn dann brach sie in ihrer Blutlache zusammen.

Plötzlich wachte er auf. Es war alles nur ein böser Traum.
Nur ein Traum?
Er lief zum Telefon und rief sie an.
Sie war da und freute sich, dass er anrief. Er sagte, dass er sofort käme. Sie sagte ihm, dass sie dann noch schnell eine Kleinigkeit holen wollte.

Er setzte sich in seinen Sportwagen und raste los, denn sie wohnte am ganz anderen Ende der Stadt. Mit riesiger Geschwindigkeit raste er durch die Stadt.
Da vorne war schon der Zebrastreifen.
Hinter diesem wohnte sie nur zwei Straßen weiter.

Er drückte das Gaspedal durch und sah deshalb nicht rechtzeitig die Person, die aus dem Lebensmit­telgeschäft kam und den Zebrastreifen benutzte.
Es war zu spät, als er erkannte, dass jemand die Straße überquerte.
Er trat die Bremse voll durch, aber es half nichts.

Mit schreckaufgeweiteten Augen sah sie ihn an. Er erwischte sie voll auf dem Kühler.
Er spürte den Aufschlag und das splittern der Windschutzscheibe, aber er dachte nur an die Augen, die ihn auch im Traum so angesehen hatten.

Es waren die toten Augen von Sybille.

E n d e


 

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